Kren-Stunde mit Redakteurin Katha auf dem Meerrettichfeld
Als Redakteurin hat man seine Sternstunden. Man verlässt seinen Schreibtisch, setzt sich ins Auto, fährt ins Blaue, streift ein Paar Gummistiefel über, folgt einem kleinen Pfad und findet sich plötzlich in einer ganz anderen Welt wieder. Zum Beispiel auf einem Krenacker in Baiersdorf…
Die Wenigsten kennen den Ort am Stadtrand der Meerrettichhauptstadt, obwohl ein Schild Besuchern unmissverständlich den Weg weist: „Schaufeld“ steht da in großen Lettern. Und zu schauen gibt es einiges. Ein wenig verwunschen liegt er da, der kleine Krenacker, auf dem ein Urwald aus großen, sattgrünen Blättern thront. Hinter ihm öffnet sich eindrucksvoll der Wiesengrund. Ein paar alte Fachwerkhäuser bemühen sich in Sichtweite redlich darum, etwas zu diesem Idyll beizutragen. Genauso eine weißbraune Katze , die durch das regennasse Gras schleicht. Die Vögel sorgen für die richtige Klangkulisse…
„Ich bin wahnsinnig gerne hier“, sagt Thomas Grimm plötzlich, der diesen Ausblick nicht zum ersten Mal genießt und der mich daran erinnert, dass ich in diesem Moment wohl doch nicht der einzige Mensch weit und breit bin. Seit vier Jahren nimmt sich der Gymnasiallehrer – Erdkunde und Sport – dem Gemeindeacker an. Er bestellt das Feld und organisiert die Ernte, die in diesem Jahr im November stattfinden soll. Ein paar Krenbauern aus der Umgebung helfen ihm dabei. Aktuell sind es 16 Zeilen voller Krenwurzeln, die abgeerntet werden müssen und dann in der Firma Schamel frisch gerieben und verarbeitet werden. Etwa 120 Stunden seiner freien Zeit wird Thomas Grimm zum Ende des Jahres in „seinen“ Acker investiert haben. Für ihn ist es mehr als ein Hobby, es ist die Pflege einer uralten Kulturlandschaft und eines Aushängeschildes der Stadt. Denn nicht nur die benachbarten Schrebergärtner gesellen sich ab und an zu Thomas Grimm auf den Acker. Auch die Besucher des Meerrettichmuseums können hier am lebenden Objekt sehen, wie eine der arbeitsintensivsten Sonderkulturen der Welt wächst und gedeiht. Den Kren hat der Unterfranke erst relativ spät für sich entdeckt. Er stammt aus einem landwirtschaftlichen Betrieb im Ochsenfurter Gau. Zuckerrüben und Getreide baute sein Vater an. Geheiratet hat Grimm schließlich eine Winzertochter. „Das kommt, offenbar dabei heraus, wenn man Rüben und Wein vermischt: Kren“, lacht er, und zieht eine stattliche Wurzel aus dem sandigen Boden. Man kann die Schärfe förmlich riechen. Thomas Grimms Leidenschaft für den Kren scheint indes ansteckend zu sein. Vor zwei Jahren begeisterte er 16 seiner Schülerinnen und Schüler im Rahmen eines P-Seminars für den Krenanbau. Eineinhalb Jahre lang bewirtschafteten sie den kleinen Acker gemeinsam. Eine arbeitsreiche Zeit. Und eine, an die sich nicht nur Thomas Grimm gerne zurückerinnert…
Warum eigentlich nicht, denke ich, während Thomas Grimm fröhlich durch das Krenfeld stapft. Ich wäre nicht die erste, die kapiert, dass Handarbeit und frische Luft nicht nur den Körper, sondern auch den Geist wachhalten. Ich bücke mich ein wenig, um nach den Wurzeln zu sehen – und lande unsanft im Feld. Braune Erde trifft auf blauen Jeansstoff. Thomas Grimm lacht: „Also mich macht das richtig glücklich, wenn ich nach getaner Arbeit schmutzig nach Hause komme.“ Ich lache mit. Sternstunden haben ihre eigenen Gesetze.