Pompeji, Gold und Denim
„Was’n das? Woher kommt’n das?“, nölte mein vierjähriger Neffe Philipp kürzlich. Wir standen auf dem Markt und starrten beide in einen Korb mit braun-weißen Wurzeln. Er neugierig, ich ratlos. Die Antwort „Wurzelgemüse“ ließ die Fragezeichen in seinen mittelmeerblauen Kulleraugen nicht verschwinden. Im Gegenteil. Mir war, als würden sie sagen: „Tante Katha, streng Deine grauen Zellen mal an.“
Derartige Missbilligung konnte ich natürlich nicht auf mir sitzen lassen. „Das nächste Mal fahren wir ins Meerrettich-Museum“, versprach ich Philipp als ich ihn bei seiner Mama ablieferte. Dort lernten wir Folgendes: Kren kommt ursprünglich aus Ost- und Südeuropa. Und er ist wahnsinnig alt: Als Teil eines Gemäldes ziert er zum Beispiel eine Wand im antiken Pompeji, bereits vor 3.000 Jahren schmort er in chinesischen Kochtöpfen und die Ägypter schätzen ihn als Schutz vor Infektionen und Parasiten. Sogar in der griechischen Mythologie kommt er vor. Dem Orakel von Delphi wird folgende Aussage zugeschrieben: „Radieschen ist sein Gewicht in Blei wert, Rettich in Silber, aber Meerrettich in Gold.“
Und der Meerrettich kommt noch weiter rum: Slawische Völker bringen ihn schließlich im Mittelalter nach Mitteleuropa. Franken gilt schon bald als eine der wichtigsten Meerrettich-Anbauregionen Deutschlands. Verantwortlich dafür ist der Markgraf Johannes Alchemista, der seinerzeit auf Schloss Scharfeneck in Baiersdorf residiert. Im 15. Jahrhundert soll er den Kren nach Baiersdorf gebracht haben. Besonders im 19. Jahrhundert wird von hier aus der Meerrettich in Fässern in die ganze Welt transportiert. Zuständig für den regionalen Verkauf sind damals in der Regel die Krenweiber, Frauen in Tracht, die den Kren im Huckelkorb nach Nürnberg und München bringen und dort an Haustüren und auf Märkten anbieten. Auch Männer übernehmen diese Arbeit: Die Krenhausierer tragen das Gemüse in einem „Zwerchsack“ über der Schulter. Der Stoff, aus dem der Sack besteht, ist das gleiche Material, aus dem der Buttenheimer Schneider Levi Strauss später die Denim-Jeans näht. Ein Verwandter von Levi Strauss hatte damals auch eine Stoffhandlung in Baiersdorf. Später wanderten die beiden nach Amerika aus, die anschließende Erfolgsgeschichte und die heute weltbekannte Jeans-Marke kennt jeder.
„Und? Weißt du jetzt, was das ist und woher das kommt?“, fragte ich Philipp am Ende unseres Ausflugs und ratterte die wichtigsten „Kren-Facts“ zur Sicherheit noch einmal herunter. Erst bei dem Wort „Huckelkorb“ wurde er hellhörig. Danach krähte und gluckste es laut durch das Museum. „Zwerge im Sack“, meine ich zu verstehen. Und: „Buttereimer“.
Ganz ehrlich, das nächste Mal belasse ich es bei „Wurzelgemüse“. Da können die Kulleraugen gucken bis Kren zu Gold wird und Denim aus der Mode kommt.